Robert Steinhäuser
Als seine Mutter Robert Steinhäuser am Morgen des 26.April 2002 weckte und ihm sagte, er habe noch eine Stunde bis zu seiner Abiturprüfung im Fach Englisch wusste sie weder, dass er diese niemals antreten wird, noch was sich in dem Jungen in den letzten Monaten an Gefühlen aufgestaut hatten.
Zu dem Zeitpunkt war der 19-Jährige bereits von seiner Schule, dem Gutenberg-Gymnasium, verwiesen worden. Dies wäre in anderen deutschen Bundesländern nicht weiter schlimm gewesen, da Robert so "nur" das Abitur verwehrt gewesen wäre. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt in Thüringen keine automatische Anerkennung der mittleren Reife nach Vollendung der 10. Klasse. Somit stand Steinhäuser bildungstechnisch vor dem Nichts, da er keinen Schulabschluss hatte.
Vorrausgegangen war dem ein lang andauerndes Täuschungmanöver aus gefälschten Attesten und häufigen Fehlzeiten seitens Steinhäusers. Die damalige Direktorin des Gymnasiums überschritt allerdings ihre Kompetenzen als sie Robert eigenmächtig der Schule verwies. Dies war eine Reaktion von ihr auf eine erkannte Fälschung eines ärztlichen Attestes.
Nun kann aber ein Verweis nur von der Lehrerkonferenz ausgesprochen werden und nicht, wie im Fall Steinhäuser, als Beschluss einer Person und als Ergebnis eines Gespräches (und Schuldeingeständnisses) mit dem Beschuldigten. Es war zwar somit richtig von Frau Alt, Robert zur Rede zu stellen, nur hätte sie in ihrer Rolle als Pädagogin seine Probleme, vor allem seine Überforderung mit den gymnasialen Anforderungen frühzeitig erkennen müssen und ihm vll. sogar helfen können auf eine Regelschule (in Thüringen eine Mischung aus Real-und Gesamtschule) zu wechseln.
Aber da diese Hilfe ausblieb und auch von keiner anderen Seite Hilfe kam begann Robert sich ein Lügengebäude aufzubauen.
Zeugenaussagen bestätigen dieses Bild des "doppelten Robert". Zum einen wird er als kontaktfreudig, offen und beliebt beschrieben, jemand der gern im Mittelpunkt stand. Auf der anderen Seite hört man Stimmen, welche aus ihm eher einen Außenseiter machen: Ruhig, introvertiert bis arrogant und trotzdem intelligent.
Meiner Meinung nach gab es zu dieser Zeit schon einen "öffentlichen Robert" und einen "privaten Robert". Das will nichts anderes heißen als, dass er zu dem Zeitpunkt seine Schutzmauern schon errichtet hatte und der Gesellschaft, seinem Umfeld, lediglich eine Maskerade zeigte, während es in seinem Inneren vor Enttäuschungen, Versagen und Konflikten brodelte.
Und ja es stimmt er glitt immer mehr in eine virtuelle Welt, flüchtete sich in seine Computerspiele. Das soll aber NICHT heißen, dass die Ego-shooter eine Mitschuld am Geschehen tragen. Das heißt lediglich, dass Robert als die ersehnte Hilfe ausblieb, versuchte sich zu retten, zu schützen, indem er versuchte in eine andere Welt zu fliehen.
Wer aber jetzt glaubt, Robert hätte die ganze Zeit vor dem Computer verbracht hat die Komplexität seines Charakters noch nicht begriffen. Robert war auch Mitglied im Handballverein. Nach Aussagen seines Trainers sei Robert zwar nicht groß aufgefallen, aber auch kein Außenseiter gewesen. Ja man könnte sagen er war integriert, im wahrsten Sinne des Wortes, also im Sinne von "mit dabei", so wie jeder andere auch!
Und ja Robert war auch in 2 Schützenvereinen, ABER wenn man die Schuld allein diesem Umstand zuschiebt begeht man einen schweren Fehler. Es gibt Millionen Sportschützen in ganz Deutschland und nicht alle davon laufen Amok vielmehr ist es für diejenigen ein Hobby wie jedes andere. Außerdem: Wenn er sich zu der Tat entschlossen hätte ohne bereits Waffen zu besitzen wäre es ihm ein Leichtes gewesen sich diese illegal zu besorgen (und mit wesentlich weniger Papierkram und Auflagen zur Unterbringung).
Schlussendlich kann man sagen, dass das Motiv Roberts wahrscheinlich in seinen Zukunftsängsten zu suchen ist, die er gehabt haben muss als ihm klar wurde,dass er ohne Schulabschluss dasteht. Und nun kann sich wirklich jeder ausmalen, was das in der heutigen Zeit, bei knapp 4 Millionen Arbeitslosen heißt. Da ihm aber nie beigebracht wurde Konflikte zu bewältigen wusste er keinen anderen Ausweg aus diesem Dilemma, als sich in seine virtuelle Welt zu flüchten und diese hatte er irgendwann so verinnerlicht bzw. einen solchen Hass auf die Lehrer angestaut, dass er schlussendlich genau diese "Hassobjekte" tötete und anschließend sich selbst. Um nicht so zu enden, wie in seinen Ängsten: Ohne Abschluss, ohne Arbeit, ohne Zukunft!
Nun möchte ich noch auf 2 Besonderheiten in Roberts Umfeld eingehen: 1. Die Situation des Elternhauses und 2. Die Begegnung mit dem Kunstlehrer Rainer Heise.
Man fragt sich doch unzweifelhaft: Haben die Eltern nichts bemerkt? Kannten sie ihren Sohn nicht gut genug um seine Überforderung zu bemerken? Hat er ihnen nicht vertraut oder warum ist er mit seinen Problemen nicht zu ihnen gekommen. Nun zum einen wollten die Eltern eine gute Ausbildung für ihr Kind und orientierten sich dabei, leider, an den Leistungen des älteren Bruders, Peter Steinhäuser. Dieser ging ebenfalls auf das Gutenberg-Gymnasium und machte dort sein Abitur. Im Glauben ihrem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen schickten Roberts Eltern auch ihn dorthin. Um seine Eltern, einen Ingeneur und eine Krankenschwester, nicht zu enttäuschen sträubte sich Robert nicht gegen diese Entscheidung und beging damit den 1. Fehler. Denn seine Eltern erkannten, wahrscheinlich durch seine Introvertiertheit, seine Überforderung nicht. Somit schloss sich der Teufelskreis aus hohen Erwartungen und Überforderung. Doch schon bald kamen die ersten Enttäuschungen, in Form von schlechten Noten. Es gipfelte schlussendlich darin, dass Robert die 11. Klasse wiederholen musste und, im Zuge der Überforderungen, sich in seine virtuelle Scheinwelt flüchtete, die Schule schwänzte, Atteste und Entschuldigungen fäschte und somit den Verweis erhielt. Da er wusste, dass am 26. April dieses Lügengerüst zusammengebrochen wäre zog er schließlich selbst, spät und falsch, die Reißleine.
Trotzdem war er zum Zeitpunkt der Tat keinesfalls gefühlskalt. So ließ er z.B. genau die Räume aus von denen er wusste, dass dort seine Freunde grade die Klausuren schrieben. Es ging ihm also nichts ums Morden allgemein, sondern er wollte jene zur Verantwortung ziehen, denen er die Schuld an seinem Versagen gab: den Lehrern.
Interessant ist auch das Reagieren des Kunstlehrers Rainer Heise. Als ihm Robert Steinhäuser vor dem Zeichensaal der Schule begegnete hatte Robert bereits seine Gesichtsmaske abgenommen, sodass Rainer Heise erkannte wen er da vor sich hatte. Er sprach ihn darauf hin an was, meiner Meinung nach, dazu führte, dass Robert in ihm kein Hassobjekt mehr sah (wie noch bei den anderen Lehrern) sondern, dass er sich wieder bewusst wurde, dass er es mit Menschen zu tun hat. Laut Protokoll ist Robert ja verkleidet durch die Schule gestürmt und hat gezielt auf Lehrer geschossen, was meine These der "Hassobjekte: Lehrer" bestärkt. Eine Lehrerin wurde z.B. nicht erschossen, da sie in einer Gruppe von Schülerinnen stand und er sie somit als Lehrerin nicht erkannte. Nicht minder interessant ist Roberts Antwort auf die Aufforderung Heises "Drück ab! Wenn du mich jetzt erschießt, dann guck mir in die Augen!". Darauf erwiederte Robert "Für heute reicht's, Herr Heise!" und wurde vom Kunstlehrer in den Zeichensaal eingeschlossen, wo er sich erschoss.
Da stellt sich mir doch unweigerlich die Frage: Wenn schon jemand sagt " Für heute reicht's.", dann meint er doch in etwa: für heute hör´ ich auf damit, oder nicht!? Warum hat Herr Heise ihn überhaupt noch eingesperrt? Hätte es nicht andere Möglichkeiten gegeben als den Tod eines Menschen billigent und im vollen Bewusstsein in Kauf zu nehmen?! Ich meine hätte man da nicht einen Psychologen "zuschalten" können, der Robert beruhigt hätte und ihn schließlichdazu gebracht hätte aufzugeben? Aber nein, er war ja schließlich der Killer, da war es ja egal! Da sieht man wieder, wie in unserer Gesellschaft der Wert eines Menschen gemessen wird: Einmal unten durch, immer unten durch.
Zuletzt möchte ich mir noch eine Schlussbemerkung erlauben: Der Amoklauf des Robert Steinhäuser nimmt auf meiner Homepage eine Sonderstellung ein. Nicht, weil er trauriger gewesen ist, traurig sind solche Taten immer. Auch nicht, weil er dramatischer verlaufen wäre, da steht er den anderen 2 Amokläufen in nichts nach. Nein, ganz einfach deshalb, weil Robert keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, aus dem man evtl. das Motiv genauer herleiten könnte oder sogar selbst erklärt bekommt. Es gab lediglich eine kurze Unterhaltung zu Beginn des Amoklaufes zwischen ihm und einem Handwerker, in dem Robert äußerte, dass er die Tat aufgrund des Schulverweises begehe.
In Gedenken an:
Robert Steinhäuser (*22.1.1983, † 26.4.2002)