Tim Kretschmer

Tim Kretschmer war ein Junge, der an seiner Katze hing, Opern liebte, der gern Tischtennis spielte und darin auch sehr erfolgreich war. Sein Vater ist Unternehmer mit einer eigenen Firma und 150 Angestellten. Diese Firma sollte Tim, nachdem der seine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte,übernehmen. Er brauchte also keine Zukunftsängste zu haben.

Trotzdem stand es im Familienleben nicht immer zum Besten! Tim war meist in seinem Zimmer, wenn er doch mal in der Küche war, sich Abendessen machte, schwieg er. Die Eltern nahmen das als normal hin, fragten nicht weiter nach. Offenbar erwarteten die Eltern neben ihrem perfekten Leben, auch einen perfekten Sohn! So wird berichtet, dass Tim regelrecht zum Tischtennisprofi gedrillt wurde. Hatte er ein Turnier gewonnen schenkte sein Vater ihm Geld, wenn er verlor wurde er nicht etwa aufgebaut sondern bekam noch zusätzlichen Ärger mit seinem Vater. Auch war es in der Familie eine Selbstverständlichkeit, dass Tim die Firma seines Vaters weiterführt. Dafür wurde er extra auf eine Privatschule geschickt.Was der Junge wollte war dabei mehr als unerheblich!

Unter diesen Umständen wundert es nicht, dass Tim depressiv wurde. Anfangs begab er sich auch tatsächlich in stationäre Bedandlung. Später führte er diese ambulant weiter, brach sie dann aber ab. Über das warum kann man an dieser Stelle nur spekulieren. Möglicherweise hielt er sich, durch das ständige Mobbing seiner Mitschüler für so minderwertig, dass er seine Depression gar nicht mehr als solche wahrnahm sondern als normalen Zustand.

Womit wir gleich beim nächsten Punkt wären: Auch Tim war kein geborener, kaltblütiger Killer. Laut Aussagen von Schülern wurde Tim aufgrund seiner Brille und seiner schüchternen, unbeholfenen Art gemobbt. "Wir nannten ihn Riesenbaby", sagt später ein Schüler der Polizei. Das sitzt! Auch mit Mädchen wusste er nicht wirklich umzugehen. Eine Schülerin erinnert sich:"Einmal stand Tim im Supermarkt an der Kasse und hatte sein Geld vergessen, ich hab ihm angeboten ihm was zu leihen. Da ist er mit hochrotem Kopf aus dem Laden gestürmt." Aufgrund dieser Mobbing-Attacken wurden auch seine Noten immer schlechter, doch anstatt, dass jetzt jemadn reagiert hagelt es noch mehr Hass. "Die Jungs riefen ihn "Loser", sagt eine ehemalige Mitschülerin. Auch von seinen Lehrern kann Tim keine Hilfe erwarten: "Wenn du so weitermachst, landest du bei der Müllabfuhr", soll diese ihm aufgrund seiner schlechten Noten gesagt haben, wenn sie ihn ausnahmsweise mal nicht ignorierte. Daher rührt wohl auch sein Hass auf Frauen. Auch im Privatleben lief es für Tim nicht gut. Er hatte zwar eine Freundin, doch diese hatte sich vor kurzem von ihm getrennt. Ein Haufen Demütigungen und Rückschläge für eine verletzte Seele .Laut seiner Schwester hing Tim sehr an seiner Katze und auch seine Oma gab an, dass Tim beim letzten Besuch bei ihr mit ihrer Katze geschmust hätte.Anhand solcher und ähnlichen Aussagen zeichnet sich ein Bild eines schüchternen Jungens, der lieber für sich war, mit anderen nicht viel anfangen konnte, aber trotzdem keinem was getan hat! Um diesem schüchternen Jungen zu helfen "unter Menschen zu kommen" (Zitat des Vaters) nahm Tims Vater ihn mit in sein Schützenverein. Und Tim mochte den Sport, war motiviert und talentiert. Außerdem hatten Vater und Sohn so ein gemeinsames Hobby, über das sie sich austauschen konnten. Doch leider war diese gemeinsame Freizeitbeschäftigung zu wenig, zu oberflächlich als dass der Vater die Probleme seines Sohnes erkannt hätte. Denn die Idee an sich war ja nicht schlecht nur wusste der Vater offenbar nichts von der ewigen Schikane durch Tims Mitschüler. Nur so lassen sich die gegensätzlichen Aussagen über seinen Charakter erklären. Als introvertiert habe ich ihn ja bereits beschrieben. Nun gibt es aber auch Stimmen, die ihn als aufbrausend, unnahbar oder schnell reizbar bezeichnen. Hier tritt ein Phänomen auf, dass ich schon bei Robert Steinhäuser und, zum Teil, auch bei Sebastian Bosse, aufgezeigt habe: Tim "machte dicht". Er erfuhr durch seine Außenwelt keine positive Bestätigung (Lob, Anerkennung, Geborgenheit, Rücksicht etc.) sondern war immer nur das "Riesenbaby" oder eben der, der mit anderen nicht umgehen konnte. Also flüchtetet er sich in eine parallelwelt, eine Phantasiewelt, in der er die Kontrolle hatte, in der er die Spielregeln aufstellte und über die anderen bestimmte! Zu der Zeit war es auch, dass er immer ruhiger wurde. Sieht man sich Bilder von ihm an so sprechen diese im direkten Vergleich Bände. Auf dem Bild zum Beginn dieser Seite wirkt er noch fröhlich, gelöst, lebenslustig. Doch ein anderes Foto zeigt ihn folgendermaßen:

Ein nachdenklicher Gesichtsausdruck, kein Lachen, nichtmal ein Lächeln und fast scheint es als ob er bewusst an der Kamera vorbeischaut. Hier kann man davon ausgehen, dass auch Tim seiner Umwelt mit einer Art Maske begegnete! Nach außen gab er sich verschlossen, eigenbrötlerisch eben als totaler Außenseiter. In seinem Inneren jedoch tobte wahrscheinlich ein Kampf aus unterdrückten Gefühlen. Eine Mischung aus Enttäuschung, ("Ich zähle für meine Eltern [besonders meinen Vater] nur, wenn ich perfekt bin, ich bin aber nicht perfekt [Depressionen, Therapie!!!!], also bin ich nichts wert. Für meine Mitmenschen/Mitschüler bin ich auch nichts wert, das zeigen sie mir, indem sie sich über mich lustig machen, anstatt mir zu helfen.) Wut ("Warum muss ich immer der "Arsch vom Dienst" sein? Warum lassen die anderen mich nicht in Ruhe bzw. akzeptieren mich so wie ich bin?) und nicht zuletzt wohl auch Resignation ("Warum akzeptieren sie nicht, dass ich zurückhaltender bin als sie, das ist doch kein Verbrechen?!"). Und trotzdem hätte man ihm hier noch helfen können, wenn seine Therapeutin seinen Hilferuf ernst genommen hätte. Ihr berichtete er in einer Sitzung knapp ein Jahr vor seinem Amoklauf, er habe "Gedanken, Menschen umzubringen". Da fragt man sich doch unweigerlich, warum sich diese Person überhaupt als Therapeutin ausgibt, wenn sie schon solche offensichtliche Hilfeschreie nicht hört!?

Nun möchte ich auf den Abschiedsbrief von Tim eingehen. Es ist nicht gesichert inwieweit dieses Schriftstück wirklich als Abschiedsbrief funkieren sollte, da Tim ihn nicht veröffentlichte, wie Sebastian, sondern dieser Brief im Tresor in Tims Zimmer gefunden wurde. Es wurde daraufhin ja viel in den Medien spekuliert was dieser Brief denn aussagen sollte unter anderem wurde er als wirres Gekritzel abgetan. Wenn man sich den Brief allerdings mal näher ansieht und langsam durchliest kommt er einem überhaupt nicht mehr wirr vor. Tim analysiert sehr genau und gekonnt wie es dazu kommt, dass aus einem Menschen ein Amokläufer wird. Auch geht er auf die Sichtweisen der Gesellschaft bzw. der Fachpresse ein, was zeigt, dass er sich sehr wohl für seine Umwelt interessiert hat und nicht der verschlossene Junge war, der keine anderen Menschen mochte und aus reiner Willkür an einer Schule um sich schoss (wie es viele im Nachhinein gern auslegen!!). Er erkennt ganz klar, dass es 2 Thesen gibt warum es Amokläufer gibt. These 1: Man wird als Amokläufer geboren, es ist genetisch bedingt, man kann dagegen nichts machen. Es ist sozusagen "russisch Roulette" des Genpools. "Die Einen sagen, man wird so geboren,...". These 2: Die Umwelt macht einen zum Amokläufer, die Gesellschaft ist für diese Taten verantwortlich. "...,die Anderen sagen man wird zu dem gemacht.". Das ist ja erstmal soweit nicht bewundernswert, sondern jedem der in Bio aufgepasst hat geläufig. Denn eben das sind 2 Standartthesen für jeden Verhalten, entweder liegt es an den Genen oder der Umwelt. Bemerkenswert ist aber Tims Schlussfolgerung: Amokläufer haben diese Veranlagung in den Genen, aber es kommt nur zum Amoklauf wenn die Umwelt einen Amoklauf begünstigt, wie hier z.B. durch Mobbing, Ausgrenzung, Schikane. Somit liegt es an UNS, an der GESELLSCHAFT, dass es Amokläufe gibt und, dass sie in letzter Zeit gehäuft auftreten. Wir als Gesellschaft formen die Menschen und somit auch jene, die wir zu Amokläufern machen! Und um die Richtigkeit dieser Aussage zu bestätigen muss man kein Diplom Psychologe sein, sondern sich mal an einer ganz normalen, weiterführenden Schule irgendwo in Deutschland umhören. Dort wird einem jeder Lehrer (sofern er sich für seine Schüler interessiert!!) und jeder Schüler bestätigen wir stark der Gruppendruck auf einen einzelnen Schüler ist, wie sehr jene, die nicht gemobbt werden, wegschauen um nur ja nicht selbst zum Opfer, sondern in Ruhe gelassen zu werden. Und so das eigentliche Opfer immer mehr vereinsamt und sich schließlich, im extremsten Fall, mit einem Amoklauf versucht zu befreien. Nämlich von seinen Peinigern, den Mitläufern und auch meist von seinen eigenen Qualen, indem sich der Amokläufer tötet.

Deswegen will ich, dass sich folgendes Bild in eure Köpfe brennt:

Muss erst sowas passieren, damit wir wieder über die Bedeutung wie "Zivilcourage", "Hilfestellung" oder "Solidarität" nachdenken?! Genau damit könnte nicht nur jeder Amoklauf verhindert werden, Schüler würden erst gar nicht mehr in die Lage kommen, dass sie einen Amoklauf in Erwägung ziehen! Aber dafür muss unsere Gesellschaft endlich erkennen, dass es NICHTan den sogenannten Killer-/Ballerspielen, NICHT an einer Mitgliedschaft im Schützenverein und auch NICHT an einem Interesse an Waffen liegt, dass es Amokläufe gab und gibt, sondern daran, dass WIR Leute zu Amokläufern machen. Und das ganz gezielt durch psychische und physische Misshandlungen! Erst wenn wir das erkennen und dagegen vorgehen wird es solche Kreidespuren von einem 17-Jährigen, der sich selbst mittels eines Kopfschusses hingerichtet hat nicht mehr geben!

In Gedenken an:

Tim Kretschmer (*26.7.1991, 11.3.2009)


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